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Suermondt-Ludwig-Museum


Wilhelmstraße 18
52070 Aachen

24.08.–21.09.2025
Öffnungszeiten:
Di.–So. von 10.00–17.00 Uhr

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„Stefan Draschan. 11 Sekunden“

kuratiert von Sarvenaz Ayooghi und Stefan Draschan

Das Museum ist ein magischer Ort, hier treiben Geschichte, Genie und Erfindungsgeist ihre Blüten. Hier kommen viele unterschiedliche Menschen zusammen, einige von ihnen wollen Neues lernen, andere möchten in eine andere Welt eintauchen. Was auch immer den Besuch motiviert, es ist diese einnehmende Stimmung innerhalb der Museumsräume, die Menschen in ihren Bann zieht.
Stefan Draschan (*1979) ist ein zuverlässiger Museumsgänger, der in vielen europäischen Häusern unterwegs ist. Stundenlang hält er sich in den prächtigen Sälen auf, ist mit den Sammlungsbeständen bestens vertraut. Ein Kunstkenner, der mit seiner Fotokamera einem Jagdinstinkt folgt mit dem einen Ziel: das perfekte Bildpaar zu finden.
Mit seiner vor allem in den sozialen Netzwerken bekannt gewordenen Serie „People Matching Artworks“ sucht und findet er optische Symbiosen zwischen Mensch und Kunstwerk. Auf leisen Sohlen spürt er Besuchenden nach, die durch Kleidung, Frisur oder Gestik auf frappierende Weise das lebende Pendant zu der Kunst bilden, die sie gerade betrachten. Dabei betont Draschan, dass lediglich der pure Zufall seine Muse ist, die ihm zuspielt. Wenn man sich die Fotografien näher anschaut, ist es jedoch weit mehr als ein reiner Glücksfall, der sie so einzigartig macht. Seine große Leidenschaft für die Kunst offenbart sich in der virtuosen, kompositionellen Fügung von Mensch und Bild. Stefan Draschan definiert das Sehen und Gesehenwerden in seinen Arbeiten vollends neu.
Mit seinen verblüffenden Bildfusionen verbindet er die Vergangenheit mit der Gegenwart, lässt beides Teil eines neuen Ganzen werden. Seine Werke umgeben eine besondere Aura, wenn Menschen sich zum Beispiel in den Goldgründen mittelalterlicher Tafelmalerei verlieren oder die Lichtdramaturgie eines Sammlungsraumes Hinterköpfe zum Teil des Bildträgers werden lässt. Ironie spielt dabei immer eine wichtige Rolle.
Stefan Draschan ist aber nicht nur ein Fotograf mit einem ausgezeichneten Gespür für prägnante Fügungen, sondern ein Künstler, dessen Arbeitsweise mit jenen der großen Meister vergleichbar ist. Er malt mit seiner Kamera, indem er neue Bildkompositionen erzeugt, sie fortführt oder durch Linien, Faltenwürfe oder Körperhaltungen ergänzt, wie etwa bei Dürers „Betende Maria“ in der Gemäldegalerie Berlin. Wie in einem Trompe-l’oeil-Gemälde offenbart sich erst auf den zweiten Blick die illusionistische Augentäuschung. Den Mann, der sich in der typischen gebückten Haltung des „Label-Lesens“ vor dem Bild befindet, entdeckt man erst beim genauen Hinschauen. Seine Jacke bildet farblich den modernen Gegenpart zum Gewand Mariens, den Faltenwurf an ihrem Ärmel setzt Draschan subtil in der Kapuze des Mannes fort; eine buchstäblich formvollendete Verschmelzung.
Aus kunsthistorischer Perspektive lässt sich ein weiterer Kunstgriff aus der Malerei heranführen: die Repoussoirfigur. Die Darstellung einer Rückenfigur, die ihren Ursprung in der Antike hat, dient in der Malerei wie auch in der Fotografie der Erzeugung von Tiefenraum, übernimmt aber vor allem eine vermittlerische Funktion. Obwohl sie bei Draschan in erster Linie datenschutzrechtliche Gründe hat, erfüllt sie gleichzeitig ihren kompositorischen Zweck und führt uns stellvertretend in das Bild ein. Der bekannteste Vertreter dieses Sujets ist kein geringerer als der deutsche Romantiker Caspar David Friedrich (1774–1840), der Meister der Repoussoirfiguren. In dessen künstlerische Fußstapfen tritt Draschan, wenn er Menschen vor Bildern des deutschen Malers ablichtet, die auf dieselbe poetische Weise eins werden mit dem Bild. Und dort, wo Friedrich gar keine Rückenfigur vorgesehen hat, vollendet Stefan Draschan seine Komposition, ohne die Tiefsinnigkeit des Moments zu (zer-)stören. Immer auf Augenhöhe und mit Respekt vor dem Urheber.
Eine Besonderheit unter den „People Matching Artworks“-Fotografien ist die Aufnahme vor Paolo Veroneses (1528–1588) „Hochzeit zu Kana“ im Pariser Louvre. Hier sind die Gesichter der Besuchermassen deutlich zu sehen und aufgrund ihrer Vielzahl gar nicht mehr zu unterscheiden der Figurenstaffage des monumentalen Meisterwerks im Hintergrund. Nicht weniger als 130 Menschen hat der italienische Künstler Veronese auf der Leinwand untergebracht, alle mit unterschiedlichen Gesichtern, Gesten und Blicken. Diese sucht man auch in der Menschenmenge und fragt sich sodann, wohin wohl alle schauen, wenn nicht zu dem imposanten Kunstwerk? Die Aufmerksamkeit gilt einzig der Mona Lisa, die im selben Raum ausgestellt ist und von den großen Malern wie Tizian, Tintoretto und Veronese umgeben wird. Doch all diese virtuosen Gemälde gehen in völliger Belanglosigkeit unter und werden kaum eines Blickes gewürdigt. Es ist wie auf der „Hochzeit zu Kana“: Keine der 130 Personen schaut zu Jesus, während er sein erstes Wunder vollbringt, nämlich Wasser in Wein zu verwandeln.
Stefan Draschan führt mit dieser Aufnahme vor Augen, was in vielen renommierten Museen zu beobachten ist: Wir sehen nur das, was uns bekannt erscheint, alles andere ist nebensächlich und nicht bildwürdig. Genau hier setzt auch die künstlerische Raffinesse von Draschan an. Sein Gespür für den entscheidenden Augenblick, den moment décisif, um es mit den Worten von Henri Cartier-Bresson wiederzugeben, macht seine Fotografien so einzigartig wie die kurze Zeitspanne, die er durchschnittlich für seine Aufnahme hat: 11 Sekunden.

(Text: Sarvenaz Ayooghi)


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