Eschweiler Kunstverein im Kulturzentrum Talbahnhof

52249 Eschweiler
24.08.–21.09.2025 Öffnungszeiten: Fr. - So. von 15.00–18.00 Uhr;
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Trautes Heim
Andrea Borowski, Maurice Graf, Christian Roosen, Willi Schloßmacher, Moritz Wondrak
kuratiert von Dr. Nina Mika-Helfmeier
In einem seiner legendären Fragebögen stellt Max Frisch 1971 folgende Frage:
Was bezeichnen Sie als Heimat?
a. ein Dorf
b. eine Stadt oder ein Quartier darin
c. einen Sprachraum
d. einen Erdteil
e. eine Wohnung
Sich für eine eindeutige Aussage zu entscheiden, fällt besonders schwer: Zwar lässt sich der Begriff der Heimat gemäß Duden als „Land, Landesteil oder Ort, in dem man aufgewachsen ist oder sich durch ständigen Aufenthalt zu Hause fühlt“, definieren – doch fühlt sich dieses spezifische Gefühl von Zugehörigkeit für jede Person anders an und kann durch unterschiedlichste Dinge hervorgerufen werden.
Was ist es also, was Heimat ausmacht? Ist es die Landschaft? Sind es die Menschen? Ist es ein spezifisches Gebäude? Oder spielen für dieses weitreichende Gefühl vielmehr individuelle und gemeinschaftliche Erinnerungen eine Rolle?
„Trautes Heim“ präsentiert ganz unterschiedliche Ansätze, sich diesem ganz besonderen Gefühl zu nähern. Ob der Ausspruch „Trautes Heim, Glück allein“ auf die Heimat ebenso wie auf das Einfamilienhaus zutrifft, wird von den Künstler_innen dabei genauso hinterfragt wie die politische Vereinnahmung des Begriffs.
Dass Heimat immer auch Nostalgie bedeutet, verdeutlichen die Aufnahmen Willi Schloßmachers (*1933), die in den 1950er und 60er Jahren im Kreis Heinsberg entstanden sind. Als Autodidakt hielt Schloßmacher alltägliche Szenen seiner Umgebung fest, den Betrachtenden begegnen Kinder, Tiere oder Nachbar_innen. Der Fotograf widmet sich mit stimmungsvollen Aufnahmen aber ebenso der Landschaft, zeigt mit Raureif überzogene Felder oder Dörfer im Nebel. Auf poetische Art und Weise zeigen Schloßmachers Fotografien eine Vergangenheit, die heute kaum noch vorstellbar ist. Keine Ablenkungen durch Smartphones, ein gemeinsames Miteinander und eine dörfliche Idylle, die uns auf eine Zeitreise schickt.
Maurice Graf (*1982) widmet eine ganze Serie von Porträts ebenjener Generation, die diese Zeit miterlebt hat. Unter dem Titel „Was uns verbindet“ fotografiert er ältere Bewohner_innen seines Wohnortes Konzen. Die frontal aufgenommenen Schwarz-Weiß-Aufnahmen stellen die Gesichter der Protagonist_innen in den Fokus und halten sie für die Ewigkeit fest. Die Einfachheit und die strenge Komposition der Fotografien lenken den Blick auf die kleinsten Feinheiten in den Gesichtern: Welche Geschichten erzählen sie? Und wie viele davon haben die Protagonist_innen wohl gemeinsam in der dörflichen Gemeinschaft erlebt? Grafs Reihe lässt sich als besondere Chronik Konzens verstehen, die hoffentlich noch lange fortgeschrieben wird.
Dass sich ein Heimatgefühl auch innerhalb eines selbst gewählten sozialen Gefüges einstellen kann, zeigen Christian Roosens (*1954) dokumentarische Aufnahmen aus der Normandie. Für „Begegnungen mit den Sch’tis“ begibt sich Roosen in einen ganz eigenen Mikrokosmos: Im Café „Chez Claudine“ trifft sich die Dorfgemeinschaft von Grand-Fort-Philippe. Verirrt sich von Zeit zu Zeit mal ein neugieriger Tourist an diesen Ort, zeigt er sich zunächst irritiert über die Gepflogenheiten und ungeschriebenen Gesetze, die hier gelten. Da gibt es zum Beispiel das Ritual, bei dem Neuankömmlinge die bereits Anwesenden reihum mit Handschlag begrüßen, egal ob man sich kennt oder nicht. Ebenso undurchsichtig erscheint für Außenstehende auch die dem Dekor innewohnende Logik: Insbesondere Darstellungen von Katzen finden sich im Café, wenngleich Besitzerin Claudine keine erklärte Katzenfreundin ist – nur würden ihr die Gäste „ständig welche schenken“. Es ist diese ehrliche Herzlichkeit, die das „Chez Claudine“ zum Wohnzimmer des Dorfes macht, in dem sich nicht nur die Bewohner_innen heimisch fühlen.
In der Serie von Andrea Borowski (*1969) steht die familiäre Gemeinschaft im Mittelpunkt. Was 2010 als Weihnachtsgruß begann, der anlässlich der Geburt ihrer Tochter versendet werden sollte, hat sich über die letzten 15 Jahre zu einer beachtlichen Serie entwickelt, die uns die Familie der Fotografin in ausgeklügelten Inszenierungen zeigt. In mühevoller, nahezu detektivischer Arbeit trägt Borowski über das Jahr verteilt die Kulisse für das jeweilige Weihnachtsmotiv zusammen. Das Resultat sind bis ins kleinste Detail entwickelte Porträts, die durch ihren Retro-Charme gleichfalls seltsam überzeichnet wirken. Man ist dazu geneigt, hinter die Heile-Welt-Fassade blicken zu wollen, um dem Topos der bürgerlichen Kleinfamilie entzaubern, ihm etwas entgegensetzen zu können.
Moritz Wondrak (*1999) spürt in seiner Serie „Erinnerungsmacher –das Übriggebliebene 1933-45“ Relikten der NS-Vergangenheit nach. 80 Jahre nach Kriegsende bestimmen Teile des Westwalls immer noch die Landschaft und brechen als Mahnmale des Krieges und der NS-Verbrechen die vermeintliche Idylle. Ausgehend von diesen Beobachtungen im öffentlichen Raum spürt Wondrak den Hinterlassenschaften des Nationalsozialismus ebenso im privaten Raum nach und hält fest, was bis heute an Relikten im „Trauten Heim“ zu finden ist. Spielzeugsoldaten in SS-Uniform, eine Ausgabe von „Mein Kampf“ oder eine Schatulle mit Ehrenabzeichen – all das befindet sich, verstaut in den hintersten Ecken, immer noch in vielen Häusern der Bundesrepublik. Wondraks Aufnahmen halten fest, wie diese Erinnerungen freigelegt werden, und stellt nicht zuletzt die Frage danach, welche Verantwortung aus ebendieser Vergangenheit erwächst.