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Aktuelle Ausstellung

SHIFT-Photo Gruppenausstellung
Teil 1

Erster Teil der dreiteiligen Textserie von Gabor Baksay. Zweiter Teil ab Montag, 11. März.

 


Gabor Baksay hat sich intensiv mit der Gruppenausstellung „SHIFT Photo“ im Kunst- und Kulturzentrum (KuK) der StädteRegion Aachen in Monschau (bis 31. März zu sehen) auseinandergesetzt, mit den Künstler*innen gesprochen, seine eigenen Eindrücke und Gedanken zu den Werken einfließen lassen. Resultat ist eine umfangreiche Besprechung aus seiner ganz persönlichen, subjektiven Perspektive.

 

In Teil eins der dreiteiligen Textserie geht er näher ein auf die gezeigten Fotografien von Andreas Magdanz, Jörg Hempel, Petra Warrass und Manja Schiefer mit Marco Röpke. Wer sich auf Teil zwei freut, klickt am Montag, 11. März, wieder hier rein.


Der visuellen Unruhestiftung dringend tatverdächtig sind folgende Personen: Florian Beckers, Andrea Borowski, Carl Brunn, Jörg Hempel, Andreas Magdanz, Johanna Reich, Marco Röpke, Marco Rose, Manja Schiefer, Peter Stollenwerk, Hugo Thomassen, Petra Warrass, Ernst Wawra. Lernen Sie diese Namen jetzt bitte auswendig.

Da damit zu rechnen ist, dass Sie den obigen Künstlern (aufgrund der Lesbarkeit wird auf das Gendern verzichtet, gemeint sind natürlich stets alle Geschlechter) immer häufiger im Kunstkontext begegnen werden, wird Ihnen dieses Wissen nützlich sein, sich erfolgreich und sachkundig an Gesprächen auf dem Parkett der Museums- und Galerienwelt einzubringen. Um diese Kenntnisse zu festigen und zu vertiefen ist es hilfreich, die insgesamt 32.303 Anschläge des Gesamttextes – für Internetverhältnisse nicht gerade wenig – aufmerksam zu studieren. Darunter geht es leider nicht.

Bei einer Gruppenausstellung von 13 Fotografen, deren vorrangige Gemeinsamkeit darin besteht, dass sie alle in der erweiterten Region Aachen, Düsseldorf, Köln und Maastricht arbeiten, erwartet man einen möglicherweise interessanten, aber zwangsläufig eher divergierenden Sack Flöhe. Bei allen Unterschieden greifen aber die Positionen der teilnehmenden Fotografen auf verblüffende Weise ineinander.
Selbstredend beruht es vor allem auf dem kuratorischem Geschick der KuK-Chefin Nina Mika-Helfmeier, aber ebenso selbstredend auch auf der geheimen Alchemie des Zufälligen, was auf dem Parcours über sämtliche Etagen des KuK den homogenen Eindruck eines Gesamtkunstwerks hinterlässt.

Der thematische Aufbau ist so einfach wie effektiv:

1. In Abwesenheit des Menschen entfaltet sich eine Archäologie der Dingwelt, deren stumme Belebtheit sehr gut ohne den Trubel der Comédie humaine auszukommen weiß.

2. Theatralisierung und Anti-Theatralisierung in der Portraitfotografie.

Das erste Ressort eröffnet spektakulär mit Andreas Magdanz, einem international anerkannten Großmeister der Depression. Die Sorgfalt, die gedankliche Tiefe und die generalstabsmäßig organisierte Auseinandersetzung mit architektonischen Unorten anonymer Machtausübung haben ihn weit über die Grenzen seiner Aachener Heimat hinaus bekannt gemacht.

Nach Magdanz’ vorangegangenen Dokumentationen der Vernichtungslager von Auschwitz, den von RWE in die Landschaft gerissenen Wunden in Garzweiler, der BND-Zentrale in Pullach und den geheimen Atombunkeranlagen der Bundesregierung zeigt er im KuK ein weiteres schmerzhaftes Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte: das Hochsicherheitsgefängnis von Stuttgart Stammheim, in dem 1977 die RAF-Terroristen der sogenannten „Baader-Meinhof-Bande“ auf bis heute ungeklärte Weise zu Tode gekommen sind.

Die Hängung kontrastiert den klaustrophobischen Brutalismus der Gefängniszellen mit der raumeinnehmenden Weite der Luftaufnahmen des Hochsicherheitskomplexes. Die wohlgeordnete, abstrakte Schönheit der Luftaufnahmen kommentiert zynisch die unmenschliche Zweckgerichtetheit der Anlage.
Als Fetischist des Faktischen käme Magdanz nie auf die Idee, auch nur einen Stuhl zu verrücken, um seine Komposition ausdrucksvoller zu gestalten. Die Räume, die er zeigt, hat er exakt so vorgefunden und nicht manipuliert. Die Schlüssigkeit seiner Komposition, erzielt er durch penible Bestimmung des Bildausschnitts und der Belichtung. Die teilweise zentnerschweren Großformatkameras, mit denen er seinen Objekten zu Leibe rückt, sind Präzisionsmaschinen der Wahrheitsfindung und ermöglichen auf den ausladenden Großformaten eine unbestechliche Tiefenschärfe. Diese Art der Dokumentarfotografie gleicht in ihrer Präzision einem visuellen Verhör.

Hierbei hilfreich ist es, dass Magdanz’ Abzüge absoluter State of the Art sind. Wie man dem Informationskärtchen entnehmen kann, ist der 320 x 120 cm große Print „Stammheimm Westhof Bau 1“ ein „Pigmentdruck Diasec / Schattenfugenrahmen“.

Die Abwesenheit von Menschen ist in diesem Fall übrigens besonders einfach erklärbar und konzeptuell schlüssig: Sie haben die funktionale Perfektion dieser „Behausungen“ schlicht und einfach nicht überlebt.

SHIFT JorgHempel 078491Die gravitätischen Stillleben von Jörg Hempel errichten Kathedralen abstrakter Erhabenheit mittels der in den 1920er Jahren von Man Ray entwickelten Technik der „Solarisationen“, die Hempel kongenial ins digitale Zeitalter überführt. Dabei riskiert er durchaus eine gewisse Nähe zum Dekorativen, die er aber unter anderem durch eine geschickte Rahmung souverän vermeidet. Hempel montiert seine Arbeiten auf Birkenholz mit ungewöhnlich breiten Rahmen aus Spanplatten. So sehr diese Rahmen mit den Sepiatönen der Fotografien harmonieren, bringen sie mit dem rauen Brutalismus ihres Materials genau jene präzise Härte in die Gesamtwirkung, die den Eindruck des Dekorativen gar nicht erst aufkommen lässt und stattdessen das frei schwebende Pathos sakraler Räume feiert.

Eine weitere Geheimwaffe gegen balangloses L'art pour l'art ist die gedankliche Tiefe existenzieller Angst, die Hempel in der demiurgischen Dunkelheit seiner Arbeiten mit den vielsagenden Titeln „065634“ und „065782“ inbrünstig heraufbeschwört.
(Foto: Jörg Hempel – 078491)

Es ist bemerkenswert, wie sehr sich Jörg Hempel von der gegenständlichen Farb- und Formenpracht seiner „Manegen der Macht“ (zu sehen auf der SHIFT-Website) weiterentwickelt hat. Kein Zufall, dass der englische Begriff SHIFT ins Deutsche übersetzt „Verschiebung“, „Veränderung“ bedeutet. Ein Phänomen, das wir in dieser Ausstellung auch bei Andrea Borowski, Johanna Reich und Hugo Thomassen beobachten können.

Unverdienterweise gehen die minimalen, geometrischen Arbeiten von Hugo Thomassen als „Anhängsel“ des Jörg-Hempel-Raumes ein wenig unter. Als intimes Gegenstück zur groß auftrumpfenden Portraitserie von Thomassen (dazu später mehr) hätten sie sich vermutlich besser entfalten können. Dazu wäre aber viel freie Wandfläche nötig gewesen, was bei den für eine so große Gruppenausstellung teils doch recht beengten Raumverhältnissen des KuK nicht möglich gewesen wäre.

Ein geradezu polymorph perverses Einverständnis miteinander entwickeln die Studien metaphysischer Verlorenheit von Petra Warrass mit dem Freudenfest dinglichen Fetischismus von Manja Schiefer & Marco Röpke. Der Titel von Warrass’ Serie – „Stay Home“ – ist irreführend. Die Wucht, mit der die Exponate den Betrachter tief in der Magengrube treffen, gleicht weniger einem Heimatgefühl als einer schmerzhaft empfundenen Heimatlosigkeit in einer fremden und seltsamen Welt. Entstanden sind die Bilder quasi im Exil von Petra Warrass’ Atelier in Zagreb, im Rahmen ihres Artist-in-Residence-Stipendiums.

Ein auf den Kopf gestellter Tisch wird zum unheilverkündenden Utensil endzeitlicher Paranoia, eine umgekippte Mülltonne attackiert den Betrachter mit der halluzinierten Bissigkeit eines Pit Bull Terriers. Die Dinge befinden sich im Aufruhr, und ob sie mit sich verhandeln lassen, ist eine offene Frage.

Zur Erbauung und Information der Ausstellungsbesucher hätte man in diesem Raum einen Band von Arthur Schopenhauers „Die Welt als Wille und Vorstellung“ auslegen können oder – warum eigentlich nicht? – als szenische Lesung mit einer wie Espenlaub zitternden Klaus-Kinski-Stimme vortragen lassen können. So bekäme man Gelegenheit, schwarz auf weiß zu verifizieren, wovon die Bilder lediglich andeutungsweise raunen und flüstern. Dass nämlich die bei Petra Warrass aggressive und bei Schiefer & Röpke burleske Belebtheit der Dinge keine nur scheinbare ist, sondern in Form des von Schopenhauer als „Ding an sich“ erkannten „Willens“ sowohl die biologische als auch die Dingwelt gleichermaßen durchdringt.

Denselben Gedanken eines „Aufstands der Dinge“ verfolgen Manja Schiefer & Marco Röpke in ihrer Serie „Die Besitzer“. Ihr privater Vorsatz, Ordnung in ihr Heim zu bringen und ausrangierte Gegenstände in die ewigen Jagdgründe zu verabschieden, ließ sich nicht so ohne Weiteres in die Tat umsetzten: Sentimentale Bindung an eigentlich überflüssige Gegenstände, ein liebenswerter Widerwille, sich zu kleinbürgerlichen Niederungen wie Aufräumen herabzulassen (Künstler eben) standen dem geplanten Großreinemachen im Wege.

Da ihr vorangegangenes Fotoprojekt („Der Stand der Dinge“ zu sehen auf der SHIFT-Website) eine Hymne an eine geradezu explodierende Unordnung war, schien der Gedanke nur konsequent, aus der Not eine Tugend zu machen und das nächste Fotoprojekt dem Gegenteil zu widmen: der Entwicklung kreativer Ordnungssysteme in der Verabschiedung überflüssig gewordener Gegenstände.

Ihre skulpturalen Neudefinitionen des Alten, Überflüssigen, aus der Mode Gekommenen sind in ihrer Anmutung so charmant wie einfallsreich in der Konstruktion. Der ausgemusterte MacPro (Neuwert ab 5000 Euro) zum Beispiel darf in stummer Erhabenheit als ein einer Hundeform angenäherter Beleuchtungskörper weiter existierend den Mond, die Zimmerdecke oder was immer anheulen. Es erfordert nur eine kleine Bemühung der Fantasie, die beiden auf Stelen montierten Küchennetze als monumentale Skulptur im öffentlichen Raum zu imaginieren.

Als Zeremonienmeistern des empfindsamen Abschiednehmens gelingt Schiefer & Röpke ein in der Kunstgeschichte seltenes Beispiel eines „Memento Mori“ der Heiterkeit. Die ehemaligen Begleiter ihrer Alltagswelt werden mit derselben Sorgfalt und demselben Respekt bedacht wie ein fachkundiger Leichenbestatter seine Schutzbefohlenen nicht einfach verscharrt, sondern sie vorher noch ein letztes Mal hübsch macht, kämmt und ihnen einen Hauch Wangenröte aufs Gesicht zaubert.

 

Drei Fragen an Schiefer & Röpke, beantwortet durch Marco Röpke:

Was sagt ihr zu der Binsenweisheit: Das Foto macht immer noch der Fotograf, nicht der Apparat.
Lass uns ein kleines Experiment mit dem Satz versuchen und das Wort Foto mit Tor, Fotograf mit Fußballer und das Wort Apparat mit Ball austauschen.

Ist folgende Behauptung von Charles Baudelaire korrekt: Die Fotografie ist der Todfeind der Malerei, sie ist die Zuflucht aller gescheiterten Maler, der Unbegabten und Faulen.
 
Word! Eigentlich wollte ich immer zeichnen, am liebsten Comics. Wegen fehlenden zeichnerischen Talents habe ich mich für Film und Fotografie entschieden.

Wie und wann war die erste Berührung mit Fotografie? Und was zeigt das erste Foto, das bewusst aufgenommen wurde?
Bewusst fotografiert habe ich zum ersten Mal, um einem Mädchen zu imponieren. Mein bester Freund und ich haben uns eine SLR-Kamera seines Bruders geliehen, sind durch Wald und über Wiesen gewandert und haben uns abwechselnd oder zusammen, mal ernst, mal albern posierend fotografiert. Nach einem langen Shooting-Tag mussten wir ernüchtert feststellen, dass der Film aufgrund stümperhafter Handhabung beim Filmeinlegen nicht weitertransportierte. Streng genommen zeigt meine erste Fotografie demnach – nichts!

 


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